Ebenso sieht das Filmförderungsgesetz (FFG) vor, dass nur Kinos eine Investitionsförderung erhalten können, die die technischen Voraussetzungen zum Vorführen einer barrierefreien Fassung geschaffen haben. Hier genügt mitunter schon die Erlaubnis, eine entsprechende Smartphone-Anwendung im Kinosaal zu nutzen. Barrierefreie Angebote kommen dennoch immer noch vor allem bei Sondervorstellungen, Filmreihen etc. zum Einsatz, die sich speziell an Menschen mit Behinderung richten oder Behinderung inhaltlich thematisieren. Sogar das breit angelegte und niedrigschwellige Angebot von Greta & Starks deckt nur eine Auswahl von Filmstarts ab. Das Ziel sollte aber darüber hinaus sein, einen möglichst hohen Anteil von „regulären“ Vorstellungen barrierefrei anzubieten, indem man sie für Menschen mit Einschränkungen nutzbar macht.
Greta & Starks: Greta App
Die bislang gebräuchlichste Anwendung, um Filme barrierefrei sehen zu können, ist die App „Greta“ der Firma Greta & Starks. Sie funktioniert für alle Filme, deren Verleihfirmen ihre SDH- und AD-Spuren für die App zur Verfügung gestellt haben. Userinnen und User können die App auf dem eigenen Smartphone installieren und die barrierefreien Spuren vor Filmbeginn herunterladen. Wenn der Film läuft, synchronisiert sich die App automatisch. Menschen mit Sehbehinderung können mit dem eigenen Kopfhörer die ergänzende Audiodeskriptionsspur hören. Die Wiedergabe lässt sich jederzeit unterbrechen und punktgenau fortsetzen. Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit können sich auf ihrem Smartphone erweiterte Untertitel anzeigen lassen. Diese sind bewusst dunkel angelegt, damit die Nebensitzenden nicht gestört werden, lassen sich aber individuell nachjustieren. Über die App Greta sind derzeit ca. 1100 Filme barrierefrei verfügbar, dazu gehören auch einige DVD- und Fernsehfassungen. gretaundstarks.de/greta/
Sennheiser MobileConnect (ehemals CinemaConnect)
Das MobileConnect-Angebot von Sennheiser ist für Filmtheater und Konferenzen ausgelegt und kombiniert eine Smartphone-App, die sich Kinogäste selbst installieren können, mit einem Kinoserver und -router, der Audio- und Untertitel-Spuren vor Ort aus dem Film-DCP ausliest und weiterfunkt. In der Nutzung funktioniert die App ähnlich wie „Greta“, allerdings nur in Kinos, die über das MobileConnect-System verfügen. Zusätzlich zur SDH- und AD-Spur lassen sich, soweit auf dem Film-DCP vorhanden, auch verschiedene Sprach- und Untertitelfassungen auswählen. Ebenso ist es bei allen im Kino gezeigten Filmen möglich, den Filmton an das individuelle Hörvermögen anzupassen, etwa indem die Tonspur lauter gehört oder bestimmte Frequenzen verstärkt werden. Auch der Anschluss von Bluetooth-fähigen Hörgeräten ist möglich. Derzeit sind rund 20 Kinos bundesweit mit dem Mobile Connect-System ausgestattet. de-de.sennheiser.com/mobileconnect-smartphone-hoersystem-app
Dolby Fidelio & Dolby CaptiView
Betreuungsaufwändiger und weniger flexibel sind gerätebasierte Lösungen wie das Dolby Fidelio-System. Bei Fidelio werden Kinogäste mit einem Empfangsgerät und Kopfhörern ausgestattet, über die sie zusätzlich zum Filmton eine Audiodeskription hören können. Die Fidelio-Geräte erlauben auch die Tonwiedergabe auf Hörgeräten mittels einer an Stelle des Kopfhörers angeschlossenen Induktionsschleife zum Umhängen.
Theoretisch ist über das Fidelio-System auch die Wiedergabe einer speziell abgemischten Tonspur für Hörgeschädigte (HI) möglich, diese wird in Deutschland aber in der Praxis nicht angeboten. Eine Behelfslösung kann es sein, über den HI-Ausgang des Kino-Tonprozessors eine Mischung der Frontkanäle, die üblicherweise auch den Dialogton enthält, auszulesen und in das Fidelio-System einzuspeisen. Eine entsprechende technische Lösung mittels zwischengeschaltetem Verstärker-Modul hat das Casablanca Kino in Nürnberg entwickelt.
Beim Dolby CaptiView-System, das sich nie durchsetzen konnte und in Deutschland nicht zum Einsatz kommt, werden die Untertitel über einen beweglichen Minimonitor eingeblendet, der sich am Getränkehalter befestigen und individuell justieren lässt. cinemanext.com/de/dolby-fidelio
Induktionsanlagen
Für die Nutzung von mit einer Induktionsspule („T-Spule“) ausgestatteten Hörgeräten waren früher in öffentlichen Gebäuden fest installierte Sendeeinrichtungen (Induktionsschleifen) ein üblicher Weg. Obwohl jeder Tonprozessor mit einem entsprechenden Tonausgang ausgestattet ist („HI“), fanden sie im Kino nie große Verbreitung, auch weil es sehr oft zu Störungen durch die Anlagen benachbarter Säle kam.
Datenbrille
Während die Audiodeskription über Kopfhörer für Menschen mit Sehbehinderung eine gangbare Lösung darstellt, ist das Mitlesen erweiterter Untertitel auf dem Smartphone oder auf eigenen Monitoren für Menschen mit Hörbehinderung mühsam. In den USA und Großbritannien kommen in einzelnen Kinos und Theatern bereits Datenbrillen zum Einsatz, die Untertitel im Gesichtsfeld der Zuschauer einblenden können. In Deutschland arbeiten unter anderem Greta & Starks an einer kinotauglichen Datenbrille für Menschen mit Hörbehinderung. Auch Sennheiser hat die Anbindung einer Datenbrille an ein mit der MobileConnect-Software ausgestattetes Mobiltelefon getestet, eine alltagstaugliche Lösung liegt aber noch nicht vor.
Offene Untertitel/Audiodeskription
Vorstellungen mit offenen Untertiteln/offener Audiodeskription, bei der also die Untertitel für Hörgeschädigte auf der Leinwand eingeblendet werden oder die Audiodeskription für alle im Saal hörbar ist, sind technisch aufwändig. Vorhandene Untertitel (CCAP) lassen sich meist über Umwege einblenden. (Auf den weitverbreiteten Servern von Doremi/Dolby ist es hierfür notwendig, die Subtitle Engine des Servers, nicht des Projektors zu verwenden. Im entsprechenden Menü kann im Device Manager die Option „Closed Caption-Daten verarbeiten, wenn keine Untertitel vorhanden sind“ ausgewählt werden. Für diese Operation ist ein Administrator-Zugang notwendig, sie muss nach dem Film manuell wieder abgeschaltet werden und ist nicht automatisierbar.) Oft kommt es aber zu Darstellungsproblemen, sobald ein Film in der normalen Fassung Untertitel aufweist.
Bei den üblichen Kinoservern/-prozessoren ist es nicht möglich, die barrierefreie Fassung mit Audiodeskription laut über die Saal-Anlage auszugeben. Hier sind improvisierte Lösungen z. B. mit separaten Lautsprechern möglich.
Barrierefreie Filmvorführung in der Praxis
Trotz der seit vielen Jahren im Filmförderungsgesetz (FFG) vorgeschriebenen Barrierefreiheit deutscher Produktionen ist die Realität nach wie vor weitaus weniger erfreulich als die Theorie. Nur wenige Verleihe statten ihre Filme konsequent mit den entsprechenden Fassungen aus, und Informationen darüber sind oft nur schwer zu bekommen. In der Praxis kommt es zu folgenden Problemen:
- Oft werden auch bei Filmen mit deutscher Förderung keine barrierefreien Fassungen erstellt.
- Barrierefreie Fassungen sind oft erst kurz vor Starttermin fertig und werden nicht mit den normalen DCP-Versänden verschickt, sondern nur auf Anforderung.
- Oft werden die KDMs für die barrierefreien Fassungen nicht automatisch versandt, sondern nur auf manuelle Anforderung.
- Obwohl das FFG eine barrierefreie Fassung als Teil des DCP fordert, werden viele Fassungen nur über Greta & Starks ausgeliefert.
- Informationen über barrierefreie Fassungen finden sich nur selten auf den Webseiten der Verleiher oder in den Presseheften. Auch die Disponentinnen und Disponenten verfügen sehr oft nicht über entsprechende Informationen.
- Viele barrierefreie Fassungen sind technisch fehlerhaft. So kommt es z. B. oft vor, dass die Audiodeskriptions-Fassung auf die normale Tonmischung aufgemischt wird. Es ist in jedem Fall notwendig, die Fassung im Kino zu testen.