Inklusion & Barrierefreiheit

1 Inklusion & Barrierefreiheit

In Deutschland müssen ungefähr 10 % aller Menschen mit dauerhaften Einschränkungen leben, dazu gehören Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer, Blinde und Sehbehinderte, Gehörlose und Hörgeschädigte, Gehbehinderte, Menschen mit Lernbehinderungen, kognitiven Einschränkungen, eingeschränkter Bewegungsfähigkeit oder Sprachbehinderungen, klein- und großwüchsige Menschen. Weitere 40 % sind temporär eingeschränkt, beispielsweise Menschen, die einen Gips tragen, oder Eltern, die einen Kinderwagen navigieren müssen. 15 % der Kinobesucherinnen und -besucher sind über 60 Jahre alt – im Arthouse-Bereich sind es sogar 32 % – und damit verstärkt von körperlichen Einschränkungen betroffen.

Investitionen in Kinos, die im Zusammenhang mit der Herstellung von Barrierefreiheit stehen, werden seit Inkrafttreten des Filmförderungsgesetzes am 1. Januar 2014 zu 50 % als Zuschuss von der FFA gefördert. Es lohnt sich auch unabhängig von gesetzlichen Vorschriften, das Kino für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen. Barrierefreiheit betrifft alle Bereiche des Kinogebäudes, aber auch die gezeigten Filme, die Projektionstechnik und die medialen Angebote der Kinos.

Inklusion gilt dabei nicht nur für das Publikum: Alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, wenigstens 5 % davon mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen (§ 154 SGB IX).

Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. (Behindertengleichstellungsgesetz § 4 BGG)

2 Bauliche Barrierefreiheit

In den Bauordnungen der Länder sind die gesetzlichen Vorgaben für Neu- und Umbauten festgehalten. Hier finden sich auch die Mindestanforderungen an barrierefreies Bauen in öffentlich zugänglichen Gebäuden, zu denen Kinos gehören. Eine weit umfangreichere Anleitung zum barrierefreien Bauen bietet die DIN 18040–1 Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude. Wie alle bautechnischen Normen dient die DIN 18040 grundsätzlich dazu, aktuelle Standards für die Planung, Bemessung und Ausführung baulicher Anlagen zu definieren und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. In erster Linie stellen Normen also hilfreiche Planungsleitfäden für alle am Bau Beteiligten dar, können aber auch mit der Einführung in Gesetze, Verordnungen oder Bauverträge rechtsverbindlich werden. Dies ist mit der DIN 18040 zum barrierefreien Bauen durch die mehr oder weniger umfassende Einführung in die einzelnen Landesbauordnungen in Deutschland teilweise geschehen.

Die Norm stellt dar, unter welchen technischen Voraussetzungen bauliche Anlagen barrierefrei sind. Sie gilt für Neubauten und sollte sinngemäß für die Planung von Umbauten oder Modernisierungen angewendet werden. Wie bei allen Normen gilt, dass die verfolgten Schutzziele grundsätzlich auch auf andere Art und Weise, als in der Norm festgelegt, erreicht werden können und dürfen. Dabei bietet die Orientierung an der Norm jedoch neben erprobten Lösungen auch Rechtssicherheit. Darüber hinaus gelten die Versammlungsstättenverordnungen der Länder (in der Regel für Räume ab einem Fassungsvermögen von 100 Personen) und die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR), die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erstellt und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlicht werden.

Die Mindestvoraussetzungen an Neubauten bedeuten meist, einen rollstuhlgerechten Zugang zu schaffen. Barrierefreiheit kann aber viel umfassender gedacht werden. Im Folgenden finden sich einige Beispiele. Alle Maßangaben orientieren sich dabei an den Empfehlungen der DIN 18040–1 „Barrierefreies Bauen“. Eine sehr gute, alltagsnahe Übersicht über Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit bieten das „Handbuch Barrierefreiheit in Hotellerie und Gastronomie“, das vom Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit (BKB) mit Unterstützung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes und des Hotelverbandes Deutschland entwickelt wurde, sowie das „Handbuch und Planungshilfe Barrierefreies Bauen“, herausgegeben von Phillip Meuser.

Viele Kinogebäude sind Altbauten, eventuell sogar denkmalgeschützt. Hier ist es in vielen Fällen nicht möglich, die bauliche Barrierefreiheit in derselben Weise umzusetzen, wie es bei einem Neubau möglich ist. Dennoch sollte man sich zum Ziel setzen, im Rahmen des baulich Möglichen möglichst viel umzusetzen. Hilfreich ist es oft, das Gespräch mit Betroffenen zu suchen – oft ermöglichen kleine Verbesserungen (beispielsweise bei Beleuchtung, Farbgestaltung und Beschriftung) erhebliche Erleichterungen.

Verkehrsflächen

Alle Wege zum und im Gebäude sollten auch von Menschen mit Beeinträchtigungen selbständig navigierbar sein. Sie sollten mindestens 1,20 m und damit breit genug sein, um sich mit Rollstühlen oder Rollatoren bewegen können, und dürfen nicht durch Gegenstände oder Vorsprünge blockiert werden. Der Boden sollte mit einem rutschfesten Belag belegt sein. Unterschiedliche Bodenbeläge und kontrastreiche/taktile Beschilderungen ermöglichen Menschen mit Sehbehinderung die Orientierung. Rettungswege sollten beleuchtet sein und zusätzlich über Tonsignale verfügen.

Treppen & Stufen

Rampen (max. Steigung 6 %) und Aufzüge sollten als Alternative zu Treppen und Stufen zur Verfügung stehen. Treppen sollten Handläufe an beiden Seiten besitzen und beleuchtet sein. Taktile Handlaufbeschichtungen und eine kontrastreiche Stufengestaltung sind hilfreich für Sehbehinderte. Optimal in Aufzügen sind eine niedrige Bedienfläche auf 85 cm Höhe, eine taktile Beschriftung der Bedienfelder und eine akustische Ansage für Sehgeschädigte.

Serviceschalter, Verweilplätze & Bewegungsflächen

Vor Serviceschaltern, Informationsflächen und Türen sollte mindestens 1,50 m x 1,50 m Platz für Wende- und Drehmanöver sein. Mindestens ein Serviceschalter sollte in einer Höhe von 85 cm angebracht und unterfahrbar sein – sprich ausreichend Freiraum unter dem Tresen aufweisen –, damit er von Rollstuhlnutzenden, Kleinwüchsigen und Kindern genutzt werden kann. Nach Treppen oder langen Wegstrecken ermöglichen Stühle oder Bänke erschöpften Besucherinnen und Besuchern das Ausruhen.

Informationstafeln & Oberflächen

Auch wichtige Informationstafeln und Bedienelemente sollten in 85 cm Höhe angebracht sein. Die Schrift auf Informationstafeln sollte groß und kontrastreich sein. Spiegelnde Flächen können problematisch für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und kognitiven Schwierigkeiten sein. Glasflächen sollten gekennzeichnet sein.

Türen und Türknöpfe

Türen sollten gut erkennbar sein und über eine lichte Mindestbreite von 90 cm verfügen. Türgriffe sind besser als Drehknäufe, die von Menschen mit motorischen Einschränkungen schwer zu bedienen sind. Drehtüren sind problematisch, eine automatische Öffnung dagegen optimal. Kontrastreich gestrichene Türrahmen erleichtern Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen die Orientierung.

Sanitärräume

Geräumige, für Rollstühle optimierte Sanitärräume sind auch hilfreich für Eltern von Babys und für Menschen mit Geh- oder Sehbehinderungen. Unter anderem sollten Waschbecken, Seifenspender und Handtrockner sitzend erreichbar und die Armaturen einarmig oder berührungslos bedienbar sein. Sicherheit bieten ein Alarmknopf innen und eine Möglichkeit, die Tür notfalls von außen entriegeln zu können.

Gastronomie

Einige Tische sollten unterfahrbar und niedrig genug für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer sein. Einige Menschen benötigen zum Trinken Strohhalme. Manche Menschen mit Greifschwierigkeiten lehnen eine Tasse gegen den Handrücken und benötigen doppelwandige Tassen, damit sie sich nicht verbrennen.

Im Kinosaal

Versammlungsstätten müssen 1 % der Plätze, mindestens jedoch einen Platz für Rollstuhlnutzende zur Verfügung stellen. Gut sind attraktive Standplätze auf mittlerer Saalhöhe, die auch Manövrierfreiheit bieten. Daneben sollten Sitzplätze für Begleitpersonen zur Verfügung stehen. Gehbehinderte sollten sich bereits vorab informieren können, wo die Sitzplätze und wie sie zu erreichen sind. Für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen sollten Möglichkeiten geschaffen werden, um barrierefreie Fassungen der Filme sehen bzw. hören zu können (s.u. „Barrierefreie Filmvorführungen“).

Parkplätze

Für viele Menschen mit Behinderung ist ein Parkplatz in der Nähe des Veranstaltungsortes essenziell. Über die Kinowebsite sollten sie vorab prüfen können, ob es Parkmöglichkeiten gibt.

3 Barrierefreie Filme

Mittels Digitalisierung können Kinofilme auch für Menschen mit einer Hör- oder Sehbehinderung zugänglich gemacht werden. Seit 2013 müssen alle Filme, die von der FFA oder dem deutschen Filmförderfonds (DFFF) gefördert werden, barrierefrei, d. h. mit Untertiteln und Audio für Menschen mit Einschränkungen ausgestattet sein. Eine Audiodeskriptionsspur für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit (AD/VI) ist eine zusätzliche Tonspur, die das Bildgeschehen so erläutert, dass sich rein durch Zuhören eine Szene mitverfolgen und die Handlung verstehen lässt. Eine Spur für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit (SDH/CCAP) liefert erweiterte Untertitel, die nicht nur das Gesprochene wiedergeben, sondern auch über wichtige akustische Elemente informieren, die sich nicht visuell erschließen: ein Türklopfen oder Gewitter beispielsweise, oder die eingespielte Musik.

Die im DCI-Standard vorgesehene Tonspur für eine speziell abgemischte Tonfassung für Menschen mit beeinträchtigter Hörfähigkeit (HI, auf Tonspur 7) ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und wird in Deutschland bislang so gut wie nie genutzt.

Für Produktions- und Verleihfirmen hat die FFA unter ffa.de/index.php?barrierefreiheit eine Empfehlung für Standards barrierefreier Fassungen veröffentlicht.

Barrierefrei ausgestattete DCPs lassen sich in der Regel an der Benennung erkennen: Eine vorhandene Audiodeskriptions-Fassung für Blinde und Sehbehinderte wird mit VI (Visually Impaired), eine spezielle Tonfassung für Schwerhörige mit HI (Hearing Impaired) und eine Untertitel-Spur für Hörgeschädigte mit CCAP (Closed Captions) gekennzeichnet. Die Bezeichnung „Closed Captions“ ist dabei missverständlich, da sie im Kontext barrierefreier Fassungen für Fernsehen und Home Cinema teilweise die Methode bezeichnet, bei der Untertitel nicht am unteren Bildschirmrand, sondern in räumlicher Nähe zur sprechenden Person erscheinen. Im Kino-Umfeld versteht man hierunter jedoch Untertitel, die nicht zur Anzeige auf der Leinwand vorgesehen sind, sondern mit einem speziellen Endgerät wiedergegeben werden. Offene barrierefreie Untertitel zur Anzeige auf der Leinwand werden als OCAP (Open Captions) gekennzeichnet. Die Art der Benennung ist in der Digital Cinema Naming Convention geregelt: isdcf.com/site/dcnc/ Die barrierefreien Fassungen werden teilweise als separate Version Files zur Verfügung gestellt, teilweise auch als Teil der normalen Fassung des Films.

4 Barrierefreie Filmvorführungen

Ebenso sieht das Filmförderungsgesetz (FFG) vor, dass nur Kinos eine Investitionsförderung erhalten können, die die technischen Voraussetzungen zum Vorführen einer barrierefreien Fassung geschaffen haben. Hier genügt mitunter schon die Erlaubnis, eine entsprechende Smartphone-Anwendung im Kinosaal zu nutzen. Barrierefreie Angebote kommen dennoch immer noch vor allem bei Sondervorstellungen, Filmreihen etc. zum Einsatz, die sich speziell an Menschen mit Behinderung richten oder Behinderung inhaltlich thematisieren. Sogar das breit angelegte und niedrigschwellige Angebot von Greta & Starks deckt nur eine Auswahl von Filmstarts ab. Das Ziel sollte aber darüber hinaus sein, einen möglichst hohen Anteil von „regulären“ Vorstellungen barrierefrei anzubieten, indem man sie für Menschen mit Einschränkungen nutzbar macht.

Greta & Starks: Greta App

Die bislang gebräuchlichste Anwendung, um Filme barrierefrei sehen zu können, ist die App „Greta“ der Firma Greta & Starks. Sie funktioniert für alle Filme, deren Verleihfirmen ihre SDH- und AD-Spuren für die App zur Verfügung gestellt haben. Userinnen und User können die App auf dem eigenen Smartphone installieren und die barrierefreien Spuren vor Filmbeginn herunterladen. Wenn der Film läuft, synchronisiert sich die App automatisch. Menschen mit Sehbehinderung können mit dem eigenen Kopfhörer die ergänzende Audiodeskriptionsspur hören. Die Wiedergabe lässt sich jederzeit unterbrechen und punktgenau fortsetzen. Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit können sich auf ihrem Smartphone erweiterte Untertitel anzeigen lassen. Diese sind bewusst dunkel angelegt, damit die Nebensitzenden nicht gestört werden, lassen sich aber individuell nachjustieren. Über die App Greta sind derzeit ca. 1100 Filme barrierefrei verfügbar, dazu gehören auch einige DVD- und Fernsehfassungen. gretaundstarks.de/greta/

Sennheiser MobileConnect (ehemals CinemaConnect)

Das MobileConnect-Angebot von Sennheiser ist für Filmtheater und Konferenzen ausgelegt und kombiniert eine Smartphone-App, die sich Kinogäste selbst installieren können, mit einem Kinoserver und -router, der Audio- und Untertitel-Spuren vor Ort aus dem Film-DCP ausliest und weiterfunkt. In der Nutzung funktioniert die App ähnlich wie „Greta“, allerdings nur in Kinos, die über das MobileConnect-System verfügen. Zusätzlich zur SDH- und AD-Spur lassen sich, soweit auf dem Film-DCP vorhanden, auch verschiedene Sprach- und Untertitelfassungen auswählen. Ebenso ist es bei allen im Kino gezeigten Filmen möglich, den Filmton an das individuelle Hörvermögen anzupassen, etwa indem die Tonspur lauter gehört oder bestimmte Frequenzen verstärkt werden. Auch der Anschluss von Bluetooth-fähigen Hörgeräten ist möglich. Derzeit sind rund 20 Kinos bundesweit mit dem Mobile Connect-System ausgestattet. de-de.sennheiser.com/mobileconnect-smartphone-hoersystem-app

Dolby Fidelio & Dolby CaptiView

Betreuungsaufwändiger und weniger flexibel sind gerätebasierte Lösungen wie das Dolby Fidelio-System. Bei Fidelio werden Kinogäste mit einem Empfangsgerät und Kopfhörern ausgestattet, über die sie zusätzlich zum Filmton eine Audiodeskription hören können. Die Fidelio-Geräte erlauben auch die Tonwiedergabe auf Hörgeräten mittels einer an Stelle des Kopfhörers angeschlossenen Induktionsschleife zum Umhängen.

Theoretisch ist über das Fidelio-System auch die Wiedergabe einer speziell abgemischten Tonspur für Hörgeschädigte (HI) möglich, diese wird in Deutschland aber in der Praxis nicht angeboten. Eine Behelfslösung kann es sein, über den HI-Ausgang des Kino-Tonprozessors eine Mischung der Frontkanäle, die üblicherweise auch den Dialogton enthält, auszulesen und in das Fidelio-System einzuspeisen. Eine entsprechende technische Lösung mittels zwischengeschaltetem Verstärker-Modul hat das Casablanca Kino in Nürnberg entwickelt.

Beim Dolby CaptiView-System, das sich nie durchsetzen konnte und in Deutschland nicht zum Einsatz kommt, werden die Untertitel über einen beweglichen Minimonitor eingeblendet, der sich am Getränkehalter befestigen und individuell justieren lässt. cinemanext.com/de/dolby-fidelio

Induktionsanlagen

Für die Nutzung von mit einer Induktionsspule („T-Spule“) ausgestatteten Hörgeräten waren früher in öffentlichen Gebäuden fest installierte Sendeeinrichtungen (Induktionsschleifen) ein üblicher Weg. Obwohl jeder Tonprozessor mit einem entsprechenden Tonausgang ausgestattet ist („HI“), fanden sie im Kino nie große Verbreitung, auch weil es sehr oft zu Störungen durch die Anlagen benachbarter Säle kam.

Datenbrille

Während die Audiodeskription über Kopfhörer für Menschen mit Sehbehinderung eine gangbare Lösung darstellt, ist das Mitlesen erweiterter Untertitel auf dem Smartphone oder auf eigenen Monitoren für Menschen mit Hörbehinderung mühsam. In den USA und Großbritannien kommen in einzelnen Kinos und Theatern bereits Datenbrillen zum Einsatz, die Untertitel im Gesichtsfeld der Zuschauer einblenden können. In Deutschland arbeiten unter anderem Greta & Starks an einer kinotauglichen Datenbrille für Menschen mit Hörbehinderung. Auch Sennheiser hat die Anbindung einer Datenbrille an ein mit der MobileConnect-Software ausgestattetes Mobiltelefon getestet, eine alltagstaugliche Lösung liegt aber noch nicht vor.

Offene Untertitel/Audiodeskription

Vorstellungen mit offenen Untertiteln/offener Audiodeskription, bei der also die Untertitel für Hörgeschädigte auf der Leinwand eingeblendet werden oder die Audiodeskription für alle im Saal hörbar ist, sind technisch aufwändig. Vorhandene Untertitel (CCAP) lassen sich meist über Umwege einblenden. (Auf den weitverbreiteten Servern von Doremi/Dolby ist es hierfür notwendig, die Subtitle Engine des Servers, nicht des Projektors zu verwenden. Im entsprechenden Menü kann im Device Manager die Option „Closed Caption-Daten verarbeiten, wenn keine Untertitel vorhanden sind“ ausgewählt werden. Für diese Operation ist ein Administrator-Zugang notwendig, sie muss nach dem Film manuell wieder abgeschaltet werden und ist nicht automatisierbar.) Oft kommt es aber zu Darstellungsproblemen, sobald ein Film in der normalen Fassung Untertitel aufweist.

Bei den üblichen Kinoservern/-prozessoren ist es nicht möglich, die barrierefreie Fassung mit Audiodeskription laut über die Saal-Anlage auszugeben. Hier sind improvisierte Lösungen z. B. mit separaten Lautsprechern möglich.

Barrierefreie Filmvorführung in der Praxis

Trotz der seit vielen Jahren im Filmförderungsgesetz (FFG) vorgeschriebenen Barrierefreiheit deutscher Produktionen ist die Realität nach wie vor weitaus weniger erfreulich als die Theorie. Nur wenige Verleihe statten ihre Filme konsequent mit den entsprechenden Fassungen aus, und Informationen darüber sind oft nur schwer zu bekommen. In der Praxis kommt es zu folgenden Problemen:

  • Oft werden auch bei Filmen mit deutscher Förderung keine barrierefreien Fassungen erstellt.
  • Barrierefreie Fassungen sind oft erst kurz vor Starttermin fertig und werden nicht mit den normalen DCP-Versänden verschickt, sondern nur auf Anforderung.
  • Oft werden die KDMs für die barrierefreien Fassungen nicht automatisch versandt, sondern nur auf manuelle Anforderung.
  • Obwohl das FFG eine barrierefreie Fassung als Teil des DCP fordert, werden viele Fassungen nur über Greta & Starks ausgeliefert.
  • Informationen über barrierefreie Fassungen finden sich nur selten auf den Webseiten der Verleiher oder in den Presseheften. Auch die Disponentinnen und Disponenten verfügen sehr oft nicht über entsprechende Informationen.
  • Viele barrierefreie Fassungen sind technisch fehlerhaft. So kommt es z. B. oft vor, dass die Audiodeskriptions-Fassung auf die normale Tonmischung aufgemischt wird. Es ist in jedem Fall notwendig, die Fassung im Kino zu testen.

5 Digitale Barrierefreiheit

Neben dem Kinosaal und den Filmen, sollten auch die Informationsangebote des Kinos barrierefrei zugänglich sein. Die „Web Content Accessibility Guidelines“(WCAG), die internationalen Richtlinien für die Gestaltung von barrierefreien Webseiten nennen vier Kriterien, die Webseiten erfüllen müssen, um Zugang für Alle zu gewährleisten:

Wahrnehmbarkeit

Alle Informationen sollten so dargestellt sein, dass Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen sie erkennen können. Das bedeutet zum Beispiel, dass Texte ausreichend kontrastreich und skalierbar sind. Für Bilder und Videos sollten alternativ auch Kurzbeschreibungen in Textform zur Verfügung stehen (Alternativtext). Wichtige Funktionstasten dürfen nicht ausschließlich als Bild vorhanden sein.

Bedienbarkeit

Für Menschen mit motorischen Einschränkungen sind Mäuse und Touchpads schwer zu bedienen. Es sollte möglich sein, sich per Tabulator-Taste durch die Website zu bewegen. Die Userinnen und User sollten bei wechselnden Inhalten ausreichend Zeit zur Wahrnehmung haben. Bestimmte Frequenzen (zum Beispiel flackernde GIFs) können Anfälle auslösen.

Verständlichkeit

Inhalte sollten gut verständlich sein (eventuell sollten Alternativen in leichter Sprache zur Verfügung stehen), aber auch die Seitenstruktur sollte vorhersehbar und nachvollziehbar sein. Texte sollten durch Überschriften klar gegliedert sein.

Robustheit

Inzwischen gibt es eine Reihe von Unterstützungstechnologien, die Menschen mit Behinderung bei der Benutzung von Websites helfen, etwa Spracherkennungs- und Vorlesetools oder Apps, die Untertitel erzeugen. Websites sollten so robust und übersichtlich gestaltet sein, dass sie zuverlässig von einer Vielfalt von Benutzeragenten (einschließlich assistiver Technologien) interpretiert werden können.

Es ist ratsam, mit Betroffenen oder deren Verbänden in Kontakt zu treten und sie zu fragen, welche Kommunikationsmittel sie nutzen und wo sie die für sie notwendigen Informationen suchen würden. So nutzen blinde Menschen beispielsweise sehr gern Newsletter, die auf einem Mobiltelefon leicht aufgerufen werden können. Ein Programm-Newsletter sollte daher nicht nur als HTML ausgeliefert werden, sondern zusätzlich eine textbasierte Ansicht bieten. Er sollte außerdem die Informationen, die für Menschen mit Behinderung besonders wichtig sind (z. B. die aktuelle Liste der mit Audiodeskription angebotenen Filme) an prominenter Stelle präsentieren.

6 Ressourcen

Bauliche Barrierefreiheit

Deutsches Institut für Normung e. V.: „DIN 18040–1 Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude“, Ausgabe: 2010–10: Baunorm für Barrierefreies Bauen, nullbarriere.de/

Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV): arbeitsschutzgesetze.com/arbeitsstaettenverordnung/

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: „Technische Regeln für Arbeitsstätten“ (ASR): baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/…

DEHOGA: Handbuch Barrierefreiheit in Hotellerie und Gastronomie: dehoga-bundesverband.de/branchenthemen/barrierefreiheit/…

Meuser, Philipp (Hrsg.), „Handbuch und Planungshilfe Barrierefreies Bauen“ 2 Bd.

Barrierefreie Filme

Standards barrierefreier Filmfassungen (FFA): ffa.de/index.php?barrierefreiheit

Digital Cinema Naming Convention: Internationale Standards für die Benennung barrierefreier Spuren auf DCPs, isdcf.com/site/dcnc/

Technikanbieter barrierefreie Filmvorführungen

Greta & Starks: Greta App – Audiodeskription und Untertitel für Hörgeschädigte zum Download, gretaundstarks.de

Sennheiser MobileConnect: App & Funkmodul zum Empfang verschiedener Audiospuren, de-de.sennheiser.com/mobileconnect-smartphone-hoersystem-app

Dolby Fidelio: Kopfhörer/Hörgeräte & Empfangsgerät/Induktionsschleife zum Empfang verschiedener Audiospuren, cinemanext.com/de/dolby-fidelio

Digitale Barrierefreiheit

Aktion Mensch, und BKB Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit: Einführung in Digitale Barrierefreiheit, einfach-fuer-alle.de

Internationale Richtlinien für barrierefreie Websites: Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), übers. v. Claudia & Tomas Caspers, w3.org/Translations/WCAG20-de/

Behindertenverbände (Auswahl)

Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V. „Für Selbstbestimmung und Würde“ ABiD: abid-ev.de

Deutscher Behindertenrat: deutscher-behindertenrat.de

Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung,
chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE): bag-selbsthilfe.de

Liga Selbstvertretung – DPO Deutschland: liga-selbstvertretung.de

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.: bsk-ev.org

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.: dbsv.org/

Deutsche Gesellschaft der Hörbehinderten – Selbsthilfe und Fachverbände e.V.: deutsche-gesellschaft.de

Deutscher Schwerhörigenbund e.V. (DSB): schwerhoerigen-netz.de

Deutscher Gehörlosenbund e.V.: gehoerlosen-bund.de

Gefördert durch: FFA Filmförderungsanstalt