1 Kinder- und Jugendkino
Das Kinder- und Jugendkino ist ein wichtiges Standbein vieler Kinobetriebe. Wie umfangreich dieser Bereich genau ist, lässt sich schwer beziffern, da die Studien von FFA und SPIO erst Kinogäste ab zehn Jahren erfassen. Immerhin: Junge Menschen zwischen 10 und 19 Jahren machen 10 % der Gesamtbevölkerung, aber rund 19 % des Kinopublikums aus. Zu den zwanzig besucherstärksten Filmen im Jahr 2019 gehörten die Familienfilme „Die Eiskönigin 2“, „Der König der Löwen“, „Pets 2“, „Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt“, „Aladdin“, „Pokémon: Meisterdetektiv Pikachu“ und „Chaos im Netz“ mit einem Gesamtbesucheraufkommen von mehr als 20 Millionen – das sind 17 % aller verkauften Tickets. Der deutsche Kinderdokumentarfilm „Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten“ erreichte mehr als 400.000 Zuschauerinnen und Zuschauer (FFA, Kinobesucher 2019, Filmhitlisten 2019).
Die allermeisten Kinos programmieren am Wochenende Nachmittagsvorstellungen für Kinder und Familien und kooperieren regelmäßig mit Schulen. Multiplexe, Cineplexe und viele Traditions- und Arthouse-Kinos in Klein- und Mittelstädten bieten tägliches Kinderprogramm an. Vor allem abseits der flächendeckend beworbenen Blockbuster ist Kinder- und Jugendkino mit viel Aufwand für Organisation und Betreuung sowie einem eigenen, mehrgleisigen Marketing verbunden. Die Einnahmen je Ticket sind zunächst geringer als bei Filmveranstaltungen für Erwachsene, aber durch die lange Einsatzzeit fallen auch geringere Filmmieten an. Hinzu kommt, dass keine Filmsparte so sehr wie das Kinder- und Jugendkino geeignet ist, um Nachwuchspublikum an das eigene Kino zu binden und eine enge Zusammenarbeit des Kinos mit der Gemeinde, dem Stadtteil und einer Vielzahl von Multiplikatoren zu initiieren.
Das Kinderfilmangebot
Aktuelle Kinderfilme laufen oft mehrere Monate im Kino und vor allem im Arthouse-Bereich wird neben den Neustarts auch viel Repertoire gespielt – gerade bei den Kleinsten wächst die nächste Zuschauergeneration schnell nach und die Eltern erinnern sich noch an ihre Lieblingsfilme. Die geplanten Kinderfilm-Neustarts sind in den regulären Startlisten der Verleihfirmen einsehbar (siehe „Das Filmprogramm“). Gute Informationsquellen für das kommende Kinderfilmangebot sind auch die großen deutschen Kinderfilmfestivals und -preise: Goldener Spatz Erfurt, LUCAS Frankfurt/M., Michel Hamburg, Cinepänz Köln, Schlingel Chemnitz und die beiden Kinderkurzfilmfestivals KUKI Berlin und mo & friese Hamburg. Kinderfilmsektionen haben u. a. auch die Berlinale, die Nordischen Filmtage in Lübeck, das Filmfest München, das Internationale Filmfest Mannheim-Heidelberg und die beiden Dokumentarfilmfestivals DOK Leipzig und DOK.fest München. Ausführliche, allerdings oft auch sehr kurzfristige Informationen zu aktuellen Kinderfilmen sowie Materialien zum Repertoire bieten das Filmbildungsportal der Bundeszentrale für politische Bildung kinofenster.de, die Filmseiten des KJF kinderfilmwelt.de, kinder-jugend-filmportal.de und kinofilmwelt.de, die Filmbewertungsstelle (FBW) unter fbw-filmbewertung.com/kinderfilme und der privat betriebene kinderfilmblog.de.
Altersfreigaben und Altersempfehlungen
Filme, die in Deutschland ins Kino kommen, müssen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) zur Prüfung vorgelegt werden, ansonsten dürfen sie nur einem erwachsenen Publikum gezeigt werden. Die Altersfreigaben sind auf der Website der FSK einsehbar (spio-fsk.de) und müssen im Kinoprogramm und bei der Bewerbung der Filme genannt werden. Die Freigaben beziehen sich auf das Mindestalter der Zuschauerinnen und Zuschauer und sind gestaffelt in Freigaben ab 0 Jahren/ohne Altersbeschränkung, 6 Jahren, 12 Jahren, 16 Jahren und 18 Jahren/keine Jugendfreigabe. Kinder ab sechs Jahren dürfen dabei auch Filme „ab 12“ besuchen, wenn sie von einer personensorgeberechtigten Person (sprich einem Elternteil) begleitet werden (siehe „Jugendschutz“). Bei der Vergabe der Altersfreigaben ist es für die Ausschüsse der FSK entscheidend, dass ein freigegebener Film Kinder und Jugendliche der entsprechenden Altersgruppe nicht nachhaltig belastet und beeinträchtigt, die Freigaben sind also nicht mit Empfehlungen gleichzusetzen. Altersempfehlungen geben beispielsweise der Kinder- und Jugendfilmdienst (kinderfilmwelt.de) und Vision Kino (visionkino.de) sowie die Bundeszentrale für politische Bildung (kinofenster.de). Für ein gut betreutes Kinderkino ist es wichtig, dass das Kinopersonal die gezeigten Filme kennt und Eltern bei der Alterseinschätzung beraten kann.
Kindervorführungen planen und durchführen
Ein funktionierendes Kinderfilmangebot braucht einen langen Atem, kommunikative Fähigkeiten und Kontinuität. In der Regel werden Kinderfilme für Kinder und Begleitpersonen zu deutlich reduzierten Eintrittspreisen angeboten. Die Bandbreite reicht dabei von ca. 50 bis 66 % der regulären Eintrittspreise. Viele Kinos bieten zudem vergünstigte Kinokarten oder Kinotage für Schulkinder, Studierende und Azubis an. Bewährt haben sich feste Kinderfilm-Spielzeiten am verlängerten Wochenende von Donnerstag bis Sonntag. Spielzeiten unter der Woche sollten mit Rücksicht auf die Schul- und Betreuungssituation vor Ort geplant werden. Lassen sich beispielsweise Ganztagsschulen mit dem offenen Programmangebot einbinden oder machen Vorführungen erst ab 16 Uhr Sinn? Wichtig ist vor allem ein regelmäßiges Angebot, das sich unter Eltern und Jugendlichen, in Schulen und Kitas herumsprechen kann und dann verlässlich abrufbar ist. Alle Vorführungen sollten kompetent und kind- bzw. jugendgerecht betreut werden.
Best Practice: Lichtburg Filmpalast Oberhausen
Die Lichtburg Oberhausen wird regelmäßig von Bund und Land mit Preisen für ihr Kinderprogramm ausgezeichnet und erzielt rund 40 % des Umsatzes mit Familienfilmen. Zwei Beschäftigte sind hauptamtlich für den Kinder- und Jugendfilm zuständig und leiten auch die anderen Kräfte und Aushilfen an. Alle Sondervorstellungen für Kinder und Jugendliche – Vorpremieren, Schulvorstellungen, Sneaks, Kurzfilmprogramme etc. – werden zumindest anmoderiert, meist gibt es eine komplette Moderation mit Vor- und Nachgespräch. In der Anmoderation werden die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Film und Genre eingestimmt, hier lässt sich zum Beispiel auch kleineren Kindern eine Hilfe für den Umgang mit spannenden Szenen (Spannungsmomente zählen!) oder mit einem traurigen Film an die Hand geben. Die Kinder dürfen sich während des Films im Saal bewegen. Bei den Jugendlichen lautet die Ansage: Das Handy darf an bleiben, aber wenn getextet wird, dann zum Film. Die Lichtburg organisiert eigene Kinder- sowie Jugendfilmreihen und -festivals und gibt ein eigenes, dreimonatlich erscheinendes Kinderkinomagazin heraus. An Fachlehrerinnen und -lehrer verschickt die Lichtburg in Kooperation mit den Kultur- und Medienscouts in Oberhausen einen Newsletter, der über themenbezogene Filme und Kulturangebote informiert. www.lichtburg-ob.de
Kinderkino-Events
Neben dem Kinder- und Jugendfilm im regulären Programm bieten viele Kinobetriebe Kinderfilmveranstaltungen mit Eventcharakter an. Bei den CinemaxX- und CineStar-Kinos lassen sich standartisierte Geburtstagspakete für Kindergruppen buchen. Die Cineplexe bieten zusätzlich Kindersneaks und einen Kinderclub an und präsentieren in der Reihe „Mein erster Kinobesuch“ Filme für Kinder ab 3 Jahren bei gedämpftem Licht und mit reduzierter Lautstärke. Traditions- und Arthouse-Kinos organisieren regelmäßig Kindergeburtstage, betreuen Filmclubs für Kinder und Jugendliche, laden Gäste ein oder veranstalten Kinoführungen. Hinzu kommen alters- und themenbezogene Filmreihen, die manchmal in Kooperation mit Festivals und externen Veranstaltern umgesetzt werden. So schickt das Kinderfilmfest Goldener Spatz Festivalfilme auf Tournee und das Spatzenkino organisiert in Berlin und Brandenburg einmal monatlich in allen teilnehmenden Kinos 45-minütige Vorführungen mit Moderation für Kinder ab 4 Jahren. Im Mini-Filmclub des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt/Main erkunden Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren die Dauerausstellung zur Vor- und Frühgeschichte des Films und sehen im Kino kurze Avantgarde-, Kunst- und Experimentalfilme, die auch bundesweit für Kino-Kita-Kooperationen zur Verfügung stehen.
Marketing & Kooperationen
Das wichtigste Marketingtool im Kinder- und Jugendkino sind die Kontakte vor Ort. Eine direkte Bewerbung von Kinderkino in Schulen und Kitas ist nicht erlaubt, aber oftmals lassen sich Schulen, Kindergärten, Büchereien, Vereine, Jugendclubs, Eltern- und Nachbarschaftsinitiativen, regionale Medienzentren, Stadt oder Gemeinde als Kooperationspartner für gemeinsame Veranstaltungen gewinnen. Denkbar sind regelmäßiges Schulkino, eine Reihe mit Literaturverfilmungen mit der lokalen Bücherei oder ein Fußballfilmevent mit dem Sportverein. Es lohnt sich, die Partner frühzeitig und kontinuierlich einzubinden und damit stetige Multiplikatoren zu gewinnen, die auch über die Kinder und Jugendlichen hinaus weitere Zuschauergruppen an das Kino binden.
Die Bewerbung der einzelnen Filmstarts übernimmt in der Regel der Verleih (siehe „Verleihmarketing & Filmbewerbung“). Bei der Bewerbung historischer, politischer oder literarischer Stoffe haben Verleihfirmen dabei oft auch schon Lehrerinnen und Lehrer als Zielgruppe im Blick, erstellen pädagogisches Begleitmaterial und laden Lehrkräfte zu Filmpreviews ein.
Während die Kinderfilmstarts von Majors wie Disney oder Constantin verleihseitig von riesigen Kampagnen begleitet werden, ist der unabhängige Kinderfilm allerdings auf allen Ebenen unterfinanziert. Hinzu kommt, dass die Zielgruppe – Eltern, Kita-Erziehende, Lehrkräfte, Kinder – einen langen Vorlauf benötigt. Materialien, Trailer und „Activity Sheets“ sollten idealerweise bereits ca. sechs Monate vor dem Filmstart im Umlauf sein, dies ist aber oft nicht der Fall. Entsprechend sind die Kinos gefordert, das eigene Programm zu bewerben. Am besten ist eine mehrgleisige Bewerbung, die auf die verschiedenen Zielgruppen abgestimmt ist und Kinder mit altersgerechten Texten und eigenen Trailern anspricht, Eltern über Altersfreigaben und Altersempfehlungen informiert und Lehrkräften Anregungen und Hilfestellungen für eine Einbindung von Filmen in den Unterricht an die Hand gibt.